Makroökonomischer Ausblick für Brasilien
Konjunktur und wichtigste Branchen
Brasiliens Wirtschaft durchsteht die Pandemie viel besser als erwartet. Allerdings belastet die fiskalpolitische Lage zunehmend die Wachstumsprognosen. (Stand: 24. August 2021)
Mit den fortschreitenden Impfungen sinken die Zahl der täglichen Covid-19-Todesfälle seit April und die Zahl der Infektionen seit Ende Juni. Brasilien beschleunigte den Impfrythmus und schloss bei dem Bevölkerungsanteil mit Erstimpfung zu den USA auf. In Lateinamerika impften nur Uruguay und Chile deutlich mehr. Dennoch besteht angesichts der Ausbreitung der Delta-Variante ein Risiko für eine dritte Pandemiewelle. Am schnellsten verbreitet hat sich die Variante im Bundesstaat Rio de Janeiro. Gesundheitsexperten erwarten für September einen drastischen Anstieg der Fallzahlen und fordern eine erneute Verschärfung der Restriktionen. Bislang liegt die Basisreproduktionszahl unter 1 - derzeit bei 0,90 (Stand: 21.08.2021).
Bislang starben in Brasilien über 576.000 Menschen an Covid-19. Positiv getestet wurden über 20 Millionen Brasilianer. Nur in den USA und Indien waren mehr Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert.
Präsident Bolsonaro unter Beschuss
Seit vier Monaten stellt der Untersuchungsausschuss des Senats täglich Fehler und Versäumnisse der Regierung in der Coronakrise an den Pranger. Zudem leiteten der oberste Gerichtshof sowie das oberste Wahlgericht insgesamt fünf Ermittlungsverfahren gegen Präsident Jair Bolsonaro ein. In den Meinungsumfragen wächst die Ablehnung gegenüber Bolsonaro, dessen Wiederwahl auch durch die erneute Wählbarkeit von Ex-Präsident Lula in Frage gefährdet ist. Unter dem zunehmenden Druck attackiert der Präsident die Judikative und riskiert dadurch seine eigene Wählbarkeit im kommenden Jahr. Die institutionelle Krise sorgt für Unsicherheit. Hohe Volatilität dürfte das zweite Halbjahr 2021 und insbesondere das Wahljahr 2022 prägen.
Trotz Risiken erwartet Brasilien ein BIP-Wachstum um 5 Prozent
Obwohl die Hilfsprogramme zur Unterstützung der bedürftigen Bevölkerung und zum Erhalt von Arbeitsplätzen Ende 2020 ausliefen und sich die Gesundheitskrise dramatisch zuspitzte, wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um 1,2 Prozent. Für das zweite Quartal wird mit Stabilität gerechnet, zumal die Hilfsprogramme in geringerem Umfang neu aufgelegt wurden. Erste Hochrechnungen deuten einen leichten Rückgang um 0,3 Prozent an. Laut der wöchentlichen Zentralbankumfrage erwarten die Finanzinstitute für 2021 derzeit ein BIP-Wachstum um 5,2 Prozent.
Doch es bestehen Wachstumsrisiken, die nicht auf der Coronakrise beruhen. Aufgrund der anhaltenden Trockenheit durch das Klimaphänomen La Niña stiegen die Stromtarife, die auch auf die Produktionskosten und die Inflation durchschlagen. In der Politik rücken die Präsidentschaftswahlen 2022 zunehmend in den Vordergrund und mindern die Chancen auf Reformen, die aufgrund der hohen und stark angestiegenen Staatsverschuldung notwendig sind.
Aufgrund der fiskalpolitischen Lage wertet die brasilianische Währung bislang nicht in gleichem Maße auf wie die anderer Schwellenländer. Neben der Wechselkursabwertung und den Stromtarifen treiben die gestiegenen Rohstoffpreise die Inflation in Brasilien an. Durch den Inflationsdruck zieht die brasilianische Zentralbank die geldpolitischen Anreize zurück und hob den Leitzins Selic Anfang August zum vierten Mal in Folge an, nun sogar um einen ganzen Prozentpunkt auf 5,25 Prozent.
Gute Aussichten für Land- und Bauwirtschaft
Mit Rekordergebnissen erweist sich die Land- und Forstwirtschaft ebenso wie in der Rezession von 2014 bis 2016 als Säule der Stabilität. Über den Dominoeffekt auf andere Wirtschaftsbereiche, wie den Transport-, Landmaschinen- und Agrarchemiesektor, trägt das Agribusiness mittlerweile zu über einem Viertel des brasilianischen BIP bei. Der Sektor profitiert von den hohen Rohstoffpreisen am Weltmarkt, verzeichnet jedoch besondere Risiken durch die anhaltende Trockenheit.
Auch die Stromwirtschaft steht angesichts der Niedrigwasserstände in den Staudämmen der Wasserkraftwerke vor besonderen Herausforderungen. Die steigenden Tarife begünstigen die Abwanderung großer Stromverbraucher in den freien Strommarkt. Dieser Trend belebt die Investitionen in erneuerbare Energien.
Gut sieht es in Brasiliens Baubranche aus. Der Immobilienmarkt erholte sich erstaunlich schnell von der Krise: 2020 legte der Wohnungsverkauf um fast 10 Prozent zu. Neben dem Wohnungsbau mehren sich auch die Investitionen in Logistikimmobilien. Der Tiefbau erwartet Anreize durch neue Infrastrukturkonzessionen. Herausforderungen bergen allerdings die drastischen Preissteigerungen für Baumaterialien, insbesondere Stahl, Zement und PVC.
Kfz-Branche leidet unter Lieferengpässen
In der Automobilbranche stellen Lieferengpässe für Halbleiter die Hersteller weltweit vor Herausforderungen. In Brasilien muss der Betrieb deshalb immer wieder vorübergehend ausgesetzt werden. Der brasilianische Kfz-Sektor trifft zudem auf weitere Hürden durch die hohen Überkapazitäten. Immerhin wurden in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 45,8 Prozent mehr Fahrzeuge produziert als im Vorjahreszeitraum. Die Produktion von Lkw und Landmaschinen läuft auf Hochtouren.
Der Branchencheck Brasilien bietet einen Überblick zu Maschinenbau, Chemieindustrie, Energiewirtschaft, Bau, Gesundheitswirtschaft, Landwirtschaft, Bergbau, Nahrungsmittelindustrie, Metallindustrie, Kfz und Kfz-Teile sowie Umwelttechnik.